Wie sich eine Sportart weiterentwickelt

 

Handball: Das hat sich über die Jahrzehnte im Handball getan – Einschneidende Änderungen im Jahr 2016

Von Christopher Benz

 

Sinsheim. Gerade in unserer entschleunigten Zeit, wird einem stärker bewusst, wie schnell der Sport sein kann. Der Handball ist in dieser Hinsicht eine der schnellsten Sportarten, über die Jahre und Jahrzehnte hat sich die Hatz nach dem kleinen Harzball dank verschiedener Regeländerungen weiter beschleunigt. Früher fielen deutlich weniger Tore, das Spiel wirkte viel statischer als heute.

 

Andere Regeln haben zu vermeintlich mehr Fairness geführt, spalten gleichzeitig aber auch die Geister. Die Schnelle Mitte, der siebte Feldspieler, die Blaue Karte oder das Zeitspiel nach dem sechsten Pass – wir haben uns umgehört, wie die Neuerungen bei unseren Experten angekommen sind.

 

Schnelle Mitte: 1997 eingeführt, erfuhr diese Änderung ist im Jahr 2001 dank einer Überarbeitung eine Revolution im Handball. Die Mannschaft, die ein Gegentor bekommt, darf sofort selbst anwerfen und konnte damit blitzschnell eigene Tore erzieen. Den taktischen Durchbruch erlebte die Schnelle Mitte 2003 mit der Deutschen Meisterschaft des TBV Lemgo, der seine Gegner schlicht und ergreifend über den Haufen rannte.

 

„Am Anfang war eigentlich jeder dagegen, weil es niemand gewohnt gewesen ist“, berichtet Norbert Rösch, der Trainer des TV Sinsheim. Von seinen eigenen Bedenken hat er sich schnell verabschiedet: „Das ist eine super Regel und wir haben sie mit unserer A-Jugend sehr erfolgreich in der Badenliga praktiziert“, denkt der erfahrene Coach gerne an die alten Zeiten zurück.

 

Bei der Anwendung der Schnellen Mitte ist es Rösch wichtig, sie nicht ständig spielen zu lassen: „Irgendwann kannst du dich darauf einstellen und dann ist es kein Vorteil mehr. Die Kunst besteht darin, sie gezielt einzusetzen.“ Mit seinen Sinsheimern setzt er ohnehin nicht zu sehr darauf, sondern vertraut eher auf die sogenannte zweite Welle. Wenn man so will, ist das die kleine Schwester der Schnellen Mitte – aber nicht minder effektiv in der richtigen Dosierung.

 

Siebter Feldspieler: Für mindestens genauso viele Diskussionen wie die Schnelle Mitte sorgt in Handball-Deutschland der Einsatz des siebten Feldspielers. Eine Mannschaft darf seit 2016 ihren Torhüter zugunsten eines weiteren Feldspielers, der nicht mit einem Leibchen markiert und daher nicht den Torraum betreten darf, einwechseln. Vor allem in der Bundesliga sowie bei Welt- und Europameisterschaften kommt dieses taktische Mittel häufig zum Einsatz, in der Regel um bei einer Zeitstrafe die Gleichzahl an Feldspielerin herzustellen.

 

„Ich bin kein Freund davon, da man mehr oder weniger den Vor- beziehungsweise Nachteil einer Zeitstrafe nimmt“, erläutert Daniel Weinheimer, der Trainer der Badenliga-Frauen des TSV Rot und immer noch aktive Spieler beim TSV Phönix Steinsfurt. In den unteren Klasse spielt diese Taktik laut ihm, „kaum eine Rolle, da sie dort sehr wenig bis gar nicht angewendet wird.“

 

Der Kreisläufer sieht eher Nachholbedarf bei der Schiedsrichtergewinnung: „Schiedsrichter-Anfänger sind im Jugendbereich häufig ahnungslosen Eltern ausgesetzt, die ihnen die Arbeit nicht gerade erleichtern. Dahingehend würde ich mir deutlich mehr Unterstützung für unseren Schiri-Nachwuchs wünschen.“

 

Blaue Karte: Manch ein Zuschauer reibt sich auch Jahre später verwundert die Augen, wenn ein Schiedsrichter die Blaue Karte zückt. Im Zuge mehrerer neuer Regeln hielt 2016 ebenfalls die dritte Karte nach der Gelben und Roten Einzug in den Handball. Der Grund, der dahintersteckt soll den Zuschauern verdeutlichen, dass die Aktion des Spielers so schwerwiegend gewesen ist, dass eine weitere Straffolge zusätzlich zur Roten Karte notwendig ist. Es kommt zu einer automatischen Sperre von einem Meisterschaftsspiel.

 

„Die spielleitende Stelle wird entlastet, da das Erfordernis, einen Sperrbescheid zu erlassen, in einigen Fällen entfällt“, erklärt Jürgen Brachmann, der Vorsitzende des Heidelberger Handballkreises. „Früher mussten die Schiedsrichter in einem Gespräch am Tisch von Zeitnehmer und Sekretär mit dem Mannschaftsverantwortlichen die Disqualifikation mit Bericht begründen, was letztlich zu einer unangemessenen ´Diskussionsrunde´ führte“, begrüßt Brachmann die Neuerung.

 

Zeitspiel nach erfolgtem sechsten Pass nach Handheben: Eine von Anfang an sehr positiv aufgenommene Neuerung ist die klare Bestimmung eines Zeitspiels. Hebt der Unparteiische seine Hand, bleiben sechs Pässe um zum Torwurf zu kommen, ansonsten wechselt der Ballbesitz. Davor wurde Zeitspiel einzig nach dem Gefühl des Schiedsrichterduos gepfiffen.

 

„Ich halte das für sinnvoll, weil es in der Vergangenheit doch immer wieder ein Graus gewesen ist, was bei angezeigtem Zeitspiel noch alles passiert ist“, sagt Wolfgang Hell, Trainer der Landesliga-Frauen der SG Bammental-Mückenloch dazu. Gleichzeitig hat die Neuauslegung zu spannenden taktischen Überlegungen geführt, wie Hell, der neben seiner Handball-Tätigkeit als Stadionsprecher des Fußball-Zweitligisten SV Sandhausen fungiert, beteuert: „Du kannst mit deinen Spielerinnen mit sechs Pässen vieles einstudieren, ohne plump aufs Tor zu werfen, wie das früher der Fall gewesen ist.“